
SDAX
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Wahlkrimi in Polen: Nach der Stichwahl um das Präsidentenamt in Polen zeichnet sich jüngsten Hochrechnungen zufolge ein Sieg des Nationalisten Karol Nawrocki ab. Einer aktuellen Prognose des Meinungsforschungsinstituts Ipsos zufolge erhielt Nawrocki bei der Wahl am Sonntag 51 Prozent der Stimmen, auf seinen liberalen Rivalen Rafal Trzaskowski entfielen demnach 49 Prozent. Bei der ersten Nachwahlbefragung hatte der Pro-Europäer Trzaskowski bei dem Kopf-an-Kopf-Rennen noch vorne gelegen.
Nach Schließung der Wahllokale hatte eine erste Hochrechnung Trzaskowski am Sonntagabend noch 50,3 Prozent der Stimmen bescheinigt. Er lag damit hauchdünne 0,6 Prozentpunkte vor dem rechtsgerichteten Kandidaten Nawrocki, der laut der ersten Prognose 49,7 Prozent der Stimmen erhielt.
Eine spätere Hochrechnung auf der Basis von Teilergebnissen aus den Wahllokalen kehrte die Prognose jedoch um: Demnach erhielt Nawrocki 50,7 Prozent der Stimmen, während Trzaskowski auf 49,3 Prozent kam. Mit dem vorläufigen Ergebnis wurde für Montag in den frühen Morgenstunden gerechnet.
Bereits in der ersten Wahlrunde vor zwei Wochen lagen der Warschauer Bürgermeister Trzaskowski und der parteilose Historiker Nawrocki eng beieinander. Der 53-jährige Trzaskowski holte 31 Prozent der Stimmen, sein 42-jähriger Rivale kam auf rund 30 Prozent. In Umfragen vor der Stichwahl hatte Trzaskowski zuletzt mit 50,1 Prozent hauchdünn vorne gelegen, Nawrocki kam auf 49,9 Prozent - eine winzige Differenz innerhalb der Fehlermargen.
Die Präsidentschaftswahl galt als richtungsweisend nicht nur für Polen, sondern für ganz Europa: Ein Sieg Trzaskowskis würde dem liberal-konservativen Regierungschef Donald Tusk und dessen Reformen neuen Schwung geben. Diese waren vom bisherigen, rechtsnationalen Präsidenten Andrzej Duda blockiert worden.
Nawrocki hingegen, der wie Duda von der vorherigen rechtsnationalistischen Regierungspartei PiS unterstützt wird, könnte im Falle seines Sieges die bisher starke Unterstützung Polens für die Ukraine in Frage stellen. Ein möglicher Sieg Nawrockis wäre daher nicht nur ein herber Rückschlag für Tusk und seinen EU-freundlichen Kurs. Sollte der Rechtsnationalist nun gewinnen, halten manche Beobachter in der Folge sogar Neuwahlen des Parlaments in Polen für möglich.
Auch würde ein Sieg Nawrockis Sieg die fortschrittlichen Regierungspläne hinsichtlich Abtreibung und LGBTQ-Rechten blockieren. Auch könnte er zu neuen Spannungen mit Brüssel in Fragen der Rechtsstaatlichkeit führen.
Trzaskowski, ein ehemaliger Minister, EU-Abgeordneter und überzeugter Europäer, will das Abtreibungsverbot in dem katholischen Land lockern und setzt sich für die Rechte sexueller Minderheiten ein. "Ich werde ein Präsident sein, der verbindet und bereit ist, mit allen zu reden", versprach Trzaskowski kürzlich.
Der 42-jährige Nawrocki hingegen ist ein politischer Neuling. Den etwa eine Million ukrainischen Flüchtlingen in seinem Land wirft er vor, sich an Polen zu bereichern. Auch einen Nato-Beitritt der Ukraine lehnt der Bewunderer von US-Präsident Donald Trump ab. Bisher ist die Regierung in Warschau einer der engsten Verbündeten Kiews.
Während seines Wahlkampfes war Nawrocki in Washington mit Trump zusammengetroffen. Dieser habe ihm seinen Sieg vorausgesagt. Auch US-Heimatschutzministerin Kristi Noem sicherte Nawrocki bei ihrem jüngsten Besuch in Polen ihre Unterstützung zu. "Er muss der nächste Präsident werden", sagte sie.
Die Wählerin Malgorzata Wojciechowska hoffte indes nach dem Urnengang auf einen Sieg Trzaskowskis. Die Frauen in Polen hätten "nicht die selben Rechte" wie Frauen in anderen Teilen Europas, sagte sie der Nachrichtenagentur AFP. Sie hoffe, "dass Rafal Trzaskowski die Debatte über Abtreibungen weiter anstoßen wird, damit wir endlich in einem freien Land leben können".
Die Rentnerin Lila Chojecka setzte derweil auf Nawrocki. "Katholische Werte sind für mich wichtig. Ich weiß, dass er sie teilt", sagte die Warschauerin der AFP bei ihrer Stimmabgabe.
Die Abgeordnete Monika Rosa von der Wahlkampfinitiative "Frauen mit Trzaskowski" begrüßte angesichts der hohen Wahlbeteiligung von 72,8 Prozent zwar eine "außergewöhnliche" politische Mobilisierung von Frauen. Sie wolle aber nach der "ersten Euphorie" die Ergebnisse "bis zum Schluss" abwarten.
Der Präsident hat in Polen mehr Befugnisse als der Bundespräsident in Deutschland: Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, bestimmt die Außenpolitik mit und hat das Recht, Gesetze einzubringen oder sein Veto gegen sie einzulegen.
G.Fung--ThChM